Beschluss des 24. Landesparteitag am 25. Oktober 2008 in Köthen
Schule neu denken - für mehr Bildungsgerechtigkeit in Sachsen-Anhalt


Bildungspolitik gehört zu den zentralen Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt wollen das Bildungssystem so weiter entwickeln, dass es alle Menschen bestmöglich befähigt, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Dazu müssen alle Bildungseinrichtungen so gestaltet und unterstützt werden, dass sie Kinder, SchülerInnen und Studierende gemäß ihrer Begabungen fördern, sie auf lebenslanges Lernen vorzubereiten und einen entscheidenden Erziehungsbeitrag dazu leisten, dass sich die SchülerInnen zu demokratischen MitbürgerInnen entwickeln.
Bildung muss die Herausforderung annehmen, alle SchülerInnen zu befähigen, sich erfolgreich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen. Hierzu gehört die Mobilität innerhalb Deutschlands und Europas ebenso wie das Zusammenleben mit ZuwanderInnen im eigenen Land.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine Schule, die ein Haus des Lernens für alle SchülerInnen unabhängig von Herkunft und Begabung ist und zu einem toleranten Miteinander ertüchtigt. Investitionen in die Köpfe der nachwachsenden Generationen müssen daher zum wichtigsten Anliegen der Landesregierung werden.

Perspektive statt Ausgrenzung
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern ein Schulsystem, das auf unnütze und kostspielige Ausgrenzungsmaßnahmen verzichtet und stattdessen in effektive Fördermaßnahmen investiert. Unser Schulsystem ist in starkem Maße durch das Prinzip der Ausgrenzung
gekennzeichnet. Dies macht sich an vielfältigen Auswahlinstrumenten fest wie die Zurückstellung vom Schuleintritt, die Selektion in ein dreigliedriges Schulsystem und das Klassenwiederholen bei multiplem Leistungsversagen. Diese Aussortierung war ursprünglich als Fördermaßnahme zum Wohle der zukünftigen Schulkarriere der Kinder gedacht. Bildungsforschung und internationale Leistungsvergleichstudien lassen allerdings nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit diesen Maßnahmen nur einen Schluss zu: Diese auf Aussortierung gründenden Entwicklungsinterventionen erreichen ihr Ziel der Leistungsförderung nicht! Vielmehr dienen sie der Ausgrenzung von SchülerInnen und minimieren die Chancen auf eine angemessene Bildungsbeteiligung und damit auf faire Zukunftschancen insbesondere von Kindern aus bildungsferneren Elternhäusern oder mit Migrationshintergrund. Ein solcher
bildungspolitischer Ansatz hat ausgedient. Er nutzt nicht das geistige Potential im Land und gefährdet das gesellschaftliche Miteinander.
Eine Schule, die zum Ziel hat, alle Kinder gemäß ihren Begabungen bestmöglich zu fördern und zu fordern, muss auf kostspielige, aber nutzlose Maßnahmen verzichten. In Sachsen-Anhalt (in 2004/05: 3.8%) bleiben überdurchschnittlich viele SchülerInnen sitzen (Bundesdurchschnitt: 2.8%) und damit am zweithäufigsten von allen Bundesländern. Deutlich besser sieht es in Sachsen-Anhalt (in 2004: 4.7%) mit der verspäteten Einschulung aus, die in den letzten Jahren unterdurchschnittlich war (Bundesdurchschnitt:5.7%), allerdings was den Bildungserfolg betrifft ebenso wenig zielführend ist wie das Sitzenbleiben. Insgesamt weist so jedeR vierte SchülerIn in Sachsen-Anhalt (PISA 2000; PISA 2003) eine verzögerte Schullaufbahn auf.
Diese Maßnahmen sind nicht erfolgreich. So beenden in Sachsen-Anhalt (2004: 13.9 %) überproportional viele SchülerInnen ihre Schulkarriere ohne Hauptschulabschluss (Bundesdurchschnitt: 8.5%). Auch erreichen in Sachsen-Anhalt (2004: 27.3%) unterdurchschnittlich viele SchülerInnen (Bundesdurchschnitt: 28.3%) die Hochschulreife.
Wir wollen das Sitzenbleiben abschaffen und setzen stattdessen auf Lücken schließenden fördernden Zusatzunterricht im Rahmen der Ganztagsschule.
Statt der nutzlosen Zurückstellung vom Schuleintritt setzen wir auf den Ausbau der integrierten zweijährigen Eingangsstufe, die je nach Begabung und Lerngeschwindigkeit nach ein bis drei Jahren abgeschlossen werden kann. Im jetzigen Schulsystem wird viel Geld sinnlos ausgegeben. Allein für die KlassenwiederholerInnen müssen pro Schuljahr im Land Personalkosten in Höhe von 40 Millionen € aufgewendet werden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, dass mit sinnloser kostspieliger Aussortierung, die weder den leistungsstarken noch den leistungsschwachen SchülerInnen nützt, endlich Schluss sein muss. Das dafür aufgewendete Geld muss in effektive Unterstützungsmaßnahmen investiert werden.
Soziale Gerechtigkeit durch faire Bildungschancen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern eine zehnjährige gemeinsame Lernzeit, um Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit zu erhöhen.

Zu den Ausgrenzungsmaßnahmen unseres Bildungssystems gehört die Dreigliedrigkeit der Schulabschlüsse, die in Sachsen-Anhalt in einem zweigliedrigen Schulsystem - bestehend aus Sekundarschulen mit einer Aufgliederung nach der 6. Klasse sowie Gymnasien - erworben werden. Spätestens seit PISA wissen wir, dass diese Sortierungsprozesse in starkem Maße durch den sozialen Hintergrund der SchülerInnen bestimmt werden. Hinzu kommt, dass die Schullaufbahnentscheidung auch darum so risikobehaftet ist, weil sie viel zu früh erfolgt, nämlich bereits in der 4.Jahrgangsstufe, was den Besuch des Gymnasiums betrifft, bzw. der 6.Jahrgangsstufe, was die Entscheidung für den Hauptschul- oder Realschulabschluss betrifft. So wird über Bildungskarrieren und damit über Lebenschancen zu früh und ungerecht entschieden. Die Herkunft ist hierbei häufig wichtiger als das tatsächliche Leistungsvermögen. So bleiben zu viele Talente auf der Strecke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen diese vorzeitige Sortierung in unterschiedliche Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe beenden und fordern eine zehnjährige gemeinsame Lernzeit ein. Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sind uns wichtige sozialpolitische Ziele. Solange die Schule alle Kinder unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund oder ihrer Begabung zusammen hat, ist Schule in der Lage soziale Selektivität zu reduzieren und nach Begabung zu fördern. Soziale Selektivität greift vor allem an den Nahtstellen der Schullaufbahnentscheidungen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für die Möglichkeit der kostenfreien Schülerbeförderung für alle Kinder und Jugendlichen bis zum Ende der Schulzeit sowie für eine Lernmittelfreistellung ab der 1. Klasse ein. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich dafür ein, dass jedes Kind die Chance erhält, einmal am Tag eine warme Mahlzeit zu sich nehmen zu können. Eine ausgewogene Mahlzeit pro Tag muss daher für Kinder in Kitas, Horten und Schulen kostenfrei sein.

Stärkung der Lerngemeinschaft vor Ort
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für eine starke Lerngemeinschaft vor Ort ein. Der Zersplitterung von Bildungsgängen und der zu frühen risikobehafteten Schullaufbahnentscheidung wollen wir ein integriertes Bildungsangebot entgegensetzen. Nur ein solches integriertes Bildungsangebot erlaubt angesichts des demografischen Wandels, allen SchülerInnen wohnortnah ein leistungsfähiges Schulangebot zu machen.
Alle Kinder werden zehn Jahre gemeinsam in der integrierten ganztägigen Gemeinschaftsschule unterrichtet. Eine Begabungsdifferenzierung erfolgt nach pädagogischen Angeboten und nicht nach Schullaufbahnen. Alle Kinder erwerben nach zehn Jahren den Sekundarschulabschluss und können sich dann zwischen drei Bildungswegen entscheiden. Sie können in der Gemeinschaftsschule bleiben und nach dem dreizehnten Schuljahr das Abitur erwerben. Sie können aber auch zum Gymnasium wechseln und dort nach zwei Jahren, also nach dem zwölften Schuljahr, das Abitur erlangen. Oder sie können in die duale berufliche Ausbildung wechseln
und schließen eine Berufsausbildung an, die in zwei bis vier Jahren abgeschlossen werden kann.
In Sachsen-Anhalt werden im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (9.8%) überproportional viele Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst (2006:23.1%). Schule muss besser auf die berufliche Bildung vorbereiten. Das anerkannte Instrumentarium (z.B. polytechnisches Lernen, Berufspraktika, Schülerfirmen, „Produktives Lernen") muss zum integralen Bestandteil schulischen Lernens werden. Neben dem allgemeinen Bildungsauftrag der Schulen muss eine enge Kooperation zwischen den Schulen und der regionalen Wirtschaft durch Erfahrungsaustausch, betriebliche GastdozentInnnen u.a. angestrebt werden. In Kooperation mit der Wirtschaft können die Schulen besser auf die berufliche Bildung vorbereiten und die Wirtschaft kommt frühzeitig mit geeigneten BewerberInnen in Kontakt. Darüber hinaus bildet die Berufsausbildung in der Region eine Grundlage zur eigenen Existenzgründung und kann Abwanderung reduzieren. Der neu orientierte Sekundarschulabschluss als Regelabschluss stattet darüber hinaus die SchülerInnen mit besseren Kompetenzen aus. So wird auch auf einen erfolgreichen Abschluss der
Berufsausbildung vorbereitet.
Der integrierte ganztägige Unterricht ermöglicht die gezielte Förderung von Begabungen - einschließlich musischer und sportlicher Begabungen - und ermöglicht den Leistungsstarken durch individuelles und selbstständiges Lernen ihr Leistungspotential zügig auszubauen. Der integrierte ganztägige Unterricht ermöglicht das gezielte Ausgleichen von Schwächen und ein Lücken schließendes Lernen. Darüber hinaus macht er privat bezahlten Zusatzunterricht überflüssig. In der integrierten Gemeinschaftsschule entfällt das Abschieben der Leistungsschwachen in niedrigere Schularten. Eine neue Lernkultur, die auf jedes Kind individuell eingeht und das Lernen voneinander ermöglicht, fördert die
Leistungsstarken ebenso wie die Leistungsschwachen.
SchülerInnen sind für verschiedene Lerngebiete unterschiedlich begabt, lernen unterschiedlich schnell und auf unterschiedlichen Wegen. Unterricht muss dieser Unterschiedlichkeit gerecht werden. Mögliche Wege hierzu sind jahrgangsübergreifender Unterricht und ein wirkungsvoller Methodenmix aus klassischen und kooperativen sowie selbstständigen Lernformen.

Die Bündnisgrünen in Sachsen-Anhalt setzen sich für die Schaffung eines dichten und bedarfsgerechten Netzes von integrierten ganztätigenGemeinschaftsschulen ein. Mit Gemeinschaftsschulen werden lange Schulwege aufgrund unterschiedlicher Schularten vermieden. Darüber hinaus bieten Gemeinschaftsschulen alle Chancen, Schulen zu sozialen und kulturellen Zentren vor Ort zu entwickeln. Gemeinschaftsschulen können aus den unterschiedlichen bisher existierenden Schulen heraus entwickelt werden und ebenso wie diese unterschiedliche Profile und
Schwerpunkte setzen.


Integration statt Förderschule
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für die schrittweise Auflösung der Förderschulen und die integrative Beschulung von Kindern mit speziellem Förderbedarf ein.
Kinder mit Handicap sollen nicht länger aus dem normalen Schulsystem heraus genommen, sondern integriert beschult werden. Förderschulen sind wegen ihrer geringen Größe und ihrem Personalschlüssel doppelt so teuer wie Regelschulen. Für die Beschulung von FörderschülerInnen fallen im Jahr alleine mehr als 170 Millionen Euro an Personalmitteln an. Die pädagogische Förderwirkung ist jedoch fraglich und umstritten. Diese separate Beschulung führt auch nicht zu einer Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gerade der demografische Wandel sollte hier als Chance begriffen werden, die Förderschulen schrittweise aufzulösen und eine integrative Beschulung dieser Kinder an den allgemeinbildenden Schulen anzustreben. Die für die Förderschulen aufgewendeten Finanzmittel sollen besser dazu verwendet werden, Kinder mit einem besonderen Förderbedarf in der integrierten Gemeinschaftsschule zu fördern.


Demokratie lernen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für eine Schule ein, die SchülerInnen durch Anerkennung, Beteiligung und gelebte Demokratie zu aktiven demokratischen MitbürgerInnen erzieht.
Schule ist der erste und der zentrale Ort in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, an dem sie eine Vorstellung von Demokratie erwerben. Schule ist ein Abbild von Gesellschaft, nämlich eine Gemeinschaft unterschiedlicher Menschen, mit Autoritäten, die Entscheidungsbefugnisse über andere besitzen, in der Privilegien verteilt werden und über Zukunftschancen entschieden wird. Hier müssen die Kinder den demokratischen Umgang miteinander einüben, der die Toleranz gegenüber anderen Menschen und Meinungen und das friedliche Aushandeln von Kompromissen ebenso umfasst wie die Akzeptanz von Regeln und Leistungsstandards oder die demokratisch legitimierte Gewaltenteilung.
Von den Erfahrungen mit Schule und Schulgemeinschaft schließen SchülerInnen auf das Funktionieren unserer Demokratie und ihre persönlichen Chancen in unserer Gesellschaft.
Damit SchülerInnen ein starkes demokratisches Bewusstsein entwickeln, müssen vier Bedingungen gegeben sein: Anerkennung, Beteiligung, gelebte Demokratie und vielfältiger Sozialkundeunterricht.


• Die SchülerInnen müssen sich anerkannt fühlen als ein wichtiges Mitglied der Schulgemeinschaft; diese Anerkennung und soziale Wertschätzung fördert die Bereitschaft, Regeln der Gemeinschaft anzuerkennen, sich für das Wohlergehen der Gemeinschaft einzusetzen und ein starkes Selbstvertrauen zu entwickeln. Anerkennung wird in der Schule erfahrbar durch Freundlichkeit, Achtung und Respekt. Permanente Erfahrungen der Ausgrenzung unterminieren hingegen
Wir-Gefühl und Selbstvertrauen.
• Schule muss Beteiligung ermöglichen und zur Beteiligung befähigen. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zur Mitwirkung in der Schule und zur allgemeinen politischen Mitwirkung. 
Beteiligungsmöglichkeiten bieten neben der SchülerInnenvertretung auch die gemeinschaftliche Organisation von Schulveranstaltungen und Schulalltag, die Arbeit in Schülerzeitungen und anderen Schülermedien sowie die Beteiligung der SchülerInnen an der Gestaltung von Unterricht.
• Demokratie wird in der Schule durch die gemeinsame Verantwortung von Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen gelebt und vorgelebt. Die Schülerinnen lernen so, Verantwortung innerhalb der Schule und auch in der Gesellschaft zu übernehmen.
• Ein vielfältiger Sozialkundeunterricht muss politisches Wissen vermitteln, das Demokratieverständnis schärfen und die Konfliktkompetenz fördern.

Umweltbildung - Know How für das Leben im Klimawandel
Die nachkommenden Generationen stehen den Folgen des Klimawandels
unwillkürlich gegenüber und sind gezwungen, neue und nachhaltige Wege zu suchen und zu gehen. Auf die damit verbundenen immensen Herausforderungen müssen sie mittels Umweltbildung bestmöglich vorbereitet werden.

Auf den Bildungserfolg vorbereiten
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehen Kinderkrippen und Kindergärten als
Bildungseinrichtungen, die in entscheidender Weise zum Bildungserfolg
der Kinder beitragen.
Die Karriere als BildungsverliererIn beginnt häufig bereits in der frühen
Kindheit. Eine von der Bertelsmann Stiftung vorgelegte Studie belegt
deutlich den positiven Bildungseffekt des Krippenbesuchs. Kinder, die im
Alter bis drei Jahren in einer Krippe waren, besuchten mit höherer
Wahrscheinlichkeit später ein Gymnasium als Kinder, die keine Krippen
besucht hatten. Insbesondere konnte der Krippenbesuch die
Bildungschancen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen
verbessern. Maßnahmen zur Förderung der Bildungschancen müssen
demnach bereits sehr früh beginnen.
In Sachsen-Anhalt nehmen mit 52% (in 2007) der Kinder erfreulicherweise
überdurchschnittlich viele Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz
in Anspruch. Diese quantitativ gute Situation gilt es zu erhalten und
auszubauen. Alle Kinder sollen - unabhängig von sozialer Herkunft und
Beschäftigungsstatus der Eltern - einen Rechtsanspruch auf ganztägige
Bildung und Betreuung in einer Kindestagestätte erhalten. Zusätzlich soll
angestrebt werden, den individuellen familiären Situationen durch Angebote
zur flexiblen Nutzung des wöchentlichen Stundenvolumens Rechnung
zu tragen. Kritisch anzumerken ist jedoch der Personalschlüssel in den
Krippen des Landes Sachsen-Anhalt (2006: 6.9 Kinder pro Stelle), der
bundesweit der zweitschlechteste Personalschlüssel für Kindertageseinrichtungen
für 0-3 Jährige darstellt. Dementsprechend weisen die Krippen
überdurchschnittliche Gruppengrößen auf.
Gerade sprachliche Defizite müssen im Vorschulalter angegangen werden.
Im Kindergarten sind durch geeignete Maßnahmen Sprachdefizite zu ermitteln.
Ihnen ist mit gezielten Fördermaßnahmen zu begegnen. Dieses
betrifft insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund, um ihnen einen
guten Start in die Schule zu ermöglichen. Auch die Grundlagen für das
Lesen- und Schreibenlernen werden im Kindergarten gelegt. Ebenso
werden die Weichen für ein verträgliches Miteinander im Vorschulalter
gelegt. Beim Kindergartenbesuch der 3-6 Jährigen liegt Sachsen-Anhalt
(2007: 93%) im Ostdurchschnitt. Aber auch hier weist Sachsen-Anhalt
einen Personalschlüssel auf (2006: 11.7 Kinder pro Stelle), der deutlich
über den Expertenempfehlungen (z.B. Bertelsmannstiftung: 7.5) liegt.
Es müssen ausreichend Krippen- und Kindergartenplätze bereit stehen
und die Gebühr muss so sozial gestaffelt sein, dass kein Kind aus
finanziellen Gründen von diesem Bildungsangebot ausgeschlossen wird.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern ein verbindliches kostenfreies Vorschuljahr
für alle Kinder, um allen Kindern eine erfolgreiche Schulkarriere
zu ermöglichen und mögliche Lernbarrieren frühzeitig anzugehen.
Der Besuch der Kinderkrippen soll den 0- bis 3jährigen Kindern vorbehalten
sein; hier hat der Bildungsauftrag gegenüber dem Erziehungs- und
Betreuungsauftrag noch ein geringes Gewicht. Kindergärten stehen für die
3- bis 6jährigen Kinder zur Verfügung; hier gewinnt der Bildungsauftrag
gegenüber den Kinderkrippen an Bedeutung. Wenn auch mit unterschiedlichem
Gewicht sind Kinderkrippen und Kindergärten ebenso wie Schulen
Bildungseinrichtungen, die aufeinander abgestimmt den Bildungserfolg
unserer Kinder sichern sollen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern daher,
dass die Zuständigkeit für alle Bildungseinrichtungen in einem Ministerium
zusammengefasst wird.
Über die Vereinigung unterschiedlicher Bildungseinrichtungen unter einem
Dach oder die Verteilung der verschiedenen Bildungseinrichtungen an
verschiedenen Standorten muss vor Ort entschieden werden.
Schulen stärken
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, dass jede Schule -- unabhängig von
ihrer Trägerschaft -- pro SchülerIn pro Schuljahr einen festen
Finanzbeitrag erhält, mit dem die Schule selbstständig arbeiten kann. Im
Gegenzug wird allen Kindern ein unentgeltlicher Zugang zu allen Schulen
des Landes gewährt.
Die Schulen vor Ort wissen am besten, mit welchen spezifischen Herausforderungen
sie zu kämpfen haben, und können am besten Ideen für ein
optimales Bildungsangebot entwickeln. Ob dies ein neues pädagogisches
Konzept oder ein Personalmix unterschiedlicher Professionen ist, jede
Schule muss selber entscheiden können, was sie braucht, um einen
optimalen Bildungserfolg zu erzielen. Die SchulleiterIn vor Ort muss
darüber entscheiden können, mit welchen Personen und welchen
Konzepten die besten Bildungserfolge zu erzielen sind und wie viel Geld in
Lehrmittel oder in Personal investiert wird. Um diese Handlungsflexibilität
zu erreichen brauchen die Schulen Finanz- und Personalhoheit.
Qualität sichern durch Qualitätsstandards
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern Qualitätsstandards für alle
Bildungseinrichtungen von der Krippe, über Kindergarten bis zu
Gemeinschaftsschule und Gymnasium.
Es ist die primäre Aufgabe von Politik, Bildungsqualität zu sichern. Zur
Sicherung von Bildungsqualität müssen Qualitätsstandards entwickelt und zur Entwicklung der Bildungseinrichtungen genutzt werden. Durch das
Konzept der Ganztätigkeit erhält die sächliche Ausstattung der Bildungseinrichtungen
eine stärkere Bedeutung. Bildungsstandards sollen daher
die pädagogische Qualität und den Bildungserfolg, aber eben auch die
materielle und personelle Ausstattung definieren und vergleichbar
machen. Der Bildungserfolg misst sich am Kompetenzzuwachs der
SchülerInnen in den unterschiedlichen Fächern.
Dies erlaubt den Schulen und vorschulischen Bildungseinrichtungen ihre
Qualitätsentwicklung voran zu treiben, dem Land Unterstützungsangebote
zielgenau anzubieten und den Eltern über verschiedene Bildungsanbieter
hinweg vergleichen und informiert entscheiden zu können.
In der integrierten Gemeinschaftsschule wächst die Verantwortung der
SchulleiterInnen in vielfältiger Weise: Haushalts- und Personalhoheit, die
gestiegene Notwendigkeit der Qualitätssicherung durch interne Evaluation,
die Unterstützung der LehrerInnen bei der Umsetzung anspruchsvoller
pädagogischer und didaktischer Konzepte sind hier zu nennen. Die
SchulleiterInnen müssen auf diese Aufgabe durch einen entsprechenden
Aufbaustudiengang vorbereitet werden.
Qualität sichern durch eine angemessene Ausbildung der
PädagogInnen
Zur Sicherung von Bildungsqualität gehört neben Qualitätsstandards auch
eine angemessene Ausbildung der PädagogInnen.
Da unsere Kinder von Anfang an eine exzellente Förderung und Bildung
bekommen sollen, muss das Niveau der ErzieherInnen langfristig
angehoben werden. Wie in fast allen europäischen Nachbarländern soll ein
Großteil der in Krippen und Kindergärten tätigen ErzieherInnen an
Hochschulen ausgebildet werden. Die Anforderungen an die pädagogische
und bildungsorientierte Arbeit der FrühpädagogInnen sind gestiegen.
Insbesondere müssen sie in die Lage versetzt werden, ihre praktische
Arbeit theoretisch-wissenschaftlich zu reflektieren. Dies kann die
momentane Fachschulausbildung nicht hinreichend leisten und erschwert
so die bildungsorientierte Fortentwicklung in der Praxis.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern daher, das bildungswissenschaftliche
Potential in Sachsen-Anhalt zu nutzen, um an den Hochschulen des
Landes eigenständige sowie auch aufbauende, berufsbegleitende Studiengänge
zur Ausbildung von FrühpädagogInnen anzubieten, um so
mittelfristig einen guten Personalmix in den Elementareinrichtungen des
Landes zu Gewähr leisten.

Zur Umsetzung dieser Ausbildungsoffensive ist jetzt ein guter Zeitpunkt
gekommen. In Ostdeutschland ist jede dritte Fachkraft in
Kindertageseinrichtungen über fünfzig Jahre alt; gar 71% sind über vierzig
Jahre alt. Mit über sechzig Jahren arbeiten jedoch nur noch wenige
Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Dies bedeutet, dass in den
nächsten zehn Jahren mit einem erhöhten Ersatzbedarf von bis zu 15%
bei den Fachkräften zu rechnen ist. Dies eröffnet die Chance, den
erforderlichen Personalmix umzusetzen. Hierzu bedarf es grundständiger
Hochschulstudiengänge in Frühpädagogik ebenso wie berufsbegleitender
Hochschulstudiengänge zur Nachqualifizierung des vorhandenen
Personals.
Um gerade Jungen während dieses wichtigen Entwicklungsprozesses in
Kindergarten und Grundschule die Identifikation mit männlichen
Vorbildern zu ermöglichen, wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Männeranteil
im Erzieher- und Grundschullehrberuf deutlich anheben.
Der Lehrberuf in der Gemeinschaftsschule wird anspruchsvoller und
vielfältiger. Dieser Entwicklung muss die Ausbildung Rechnung tragen.
Hierzu gehört eine deutliche Verstärkung der pädagogischen,
psychologischen und didaktischen Anteile in der Ausbildung, die
gleichgewichtig neben der fachlichen Ausbildung stehen muss. Die
Erkenntnisse der Schul- und Bildungsforschung sind stärker im Hinblick
auf effektivere Unterrichtsformen und den Umgang mit heterogenen Lerngruppen
in die LehrerInnenausbildung einzubringen. Ebenso muss die
schulpraktische Ausbildung besser mit der universitären Ausbildung verzahnt
werden.
Für alle muss es eine zertifizierte Fortbildungspflicht geben, die es den
FrühpädagogInnen und Lehrkräften erlaubt, ihre pädagogische Arbeit
theoretisch-wissenschaftlich zu reflektieren und sich den wandelnden Anforderungen
kompetent zu stellen.
Zugang zu Informationen
Das Land muss alle Möglichkeiten ergreifen, um seinen BürgerInnen einen
ungehinderten Zugang zu Informationen zu gewährleisten.
Die Gemeinschaftsschule kann zu einem kulturellen und Bildungszentrum
werden. Eine Vernetzung zwischen Bibliotheken und Schulen ist wünschenswert.
Gedruckte Publikationen stellen ebenso wie elektronische
Veröffentlichungen einen wichtigen Zugang zur Bildung dar und sind eine
wichtige Ressource für die Wissenschaft. Alle BürgerInnen müssen
ungehinderten Zugang zu Informationen haben. Dies gilt nicht zuletzt wegen des steigenden Fortbildungsbedarfs. Bibliotheken sind daher als
Bildungseinrichtungen zu verstehen und müssen den kommunalen
Pflichtaufgaben zugeordnet werden.
Das mit staatlichen Geldern erforschte Wissen gehört der Allgemeinheit
und muss frei verfügbar sein. Wir unterstützen daher nachdrücklich Open-
Access-Initiativen.


Hochschule neu denken - Gute Lehre durch ausfinanzierte Hochschulen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern eine Ausfinanzierung der Hochschulen
als Investition in die Zukunftsfähigkeit des Landes. Nur mit ausreichenden
Finanzmitteln können sie konkurrenzfähige Forschungsschwerpunkte
entwickeln und ein attraktives Lehrangebot anbieten. Studiengebühren
lehnen wir ab.
Hochschulpolitik ist, wie die gesamte Bildungspolitik, ein zentraler Pfeiler
der Zukunftspolitik für Sachsen-Anhalt. Hochschulen bieten auf hohem
Niveau Bildung, Ausbildung und Fortbildung. Die Hochschulen im Lande
garantieren die Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte, den Unternehmen
den Zugang zu innovativer Forschung und die Möglichkeit neuste
Technologien im Lande, auch durch Neugründungen von Firmen,
unternehmerisch zu etablieren.
Die Hochschulen sind überall in Deutschland erheblich unterfinanziert.
Diese Situation besteht ebenso in Sachsen-Anhalt. Die Anzahl der
Studierenden pro Professur ist mindestens doppelt so hoch wie ein
angemessenes Verhältnis wäre, das einerseits eine hohe
Ausbildungsqualität durch intensive Betreuung gewährleistet, andererseits
aufgrund der hohen Wirtschaftskraft Deutschlands im internationalen
Vergleich zu erwarten wäre. Die Folge sind weiterhin hohe
Studienabbrecherquoten, zu geringe Studierquoten und ein zunehmender
Attraktivitätsverlust universitärer Lehre in überfüllten
Lehrveranstaltungen. Dies ist ein grundlegender Mangel, an dem
Exzellenzinitiativen, ob für Forschung oder Lehre, nichts ändern.
Fundament für eine gute Lehre ist eine ausfinanzierte Hochschule. Nur
finanzielle Sicherheit erlaubt langfristige Planung.
Ausfinanzierte Hochschulen müssen als wichtiger Standortfaktor im
globalen Wettbewerb begriffen werden. In diesem Zusammenhang muss
eine Demographie bedingte Verringerung der Studierendenzahl in
Sachsen-Anhalt, sofern sie überhaupt eintritt und nicht durch Gewinnung zusätzlicher Studierender ausgeglichen wird, als eine Chance zur
Qualitätsverbesserung und nicht zur Haushaltssanierung gesehen werden.
Wir sind gegen Studiengebühren und begrüßen, dass es derzeit keine
Pläne gibt, diese in Sachsen-Anhalt einzuführen. Studiengebühren wirken
auf AbiturientInnen aus bildungsfernen Schichten abschreckend. Das
Argument, dass das kostenlose Studium einkommensstarke Schichten
bevorzugt, wurde bereits widerlegt (etwa Sturn & Wohlfahrt, 2000). Auch
die vorhandenen Langzeitstudiengebühren lehnen wir ab, da länger
Studierende die Universitäten nicht stärker in Anspruch nehmen, sondern
die Inanspruchnahme auf einen längeren Zeitraum strecken. Häufig sind
längere Studienzeiten gut nachvollziehbar und durch nicht vorhandene
Möglichkeiten zum Teilzeitstudium bedingt. Es muss aber Ziel der
Bildungspolitik sein, die Studierquoten und Abschlussquoten zu erhöhen.
Andere Staaten haben bereits deutlich höhere Quoten erzielt und
Deutschland droht ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Darüber
hinaus ist das gebührenfreie Studium ein wichtiges Mittel, um Studierende
aus anderen Bundesländern und dem Ausland nach Sachsen-Anhalt zu
ziehen und damit der Demographieentwicklung entgegenzuwirken. Ziel
der Hochschulpolitik muss es sein, den Anteil ausländischer Studierender
sowie Studierender mit Migrationshintergrund weiter zu erhöhen. Die
Hochschulen brauchen die besten Köpfe im Land, daher muss auch für
Menschen ohne Abitur ein Hochschulstudium möglich sein.
Die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse führt zu einer starken
Verschulung des Studiums, die wir ablehnen. Dagegen wird das Ziel einer
besseren Internationalisierung völlig verfehlt, da die neuen verdichteten
Studiengänge international wenig kompatibel sind und kaum Zeit für
Auslandsaufenthalte lassen. Auch bedauern wir, dass den Studierenden
kaum noch Zeit für hochschul- und gesellschaftspolitisches Engagement
bleibt. Das entspricht nicht unserem umfassenden Verständnis von
Hochschulbildung.
Wir sind dafür, die Bürokratisierung der Studienreform zu verringern und
überflüssige Zertifizierungen von Studiengängen zu unterlassen. Das Geld
dafür ist besser in Lehrpersonal und interne Qualitätskontrollen investiert.
Die Umstellung auf die neuen Studiengänge sollte entschleunigt und den
Fakultäten nicht aufgezwungen werden, dies betrifft insbesondere die
Lehramtsstudiengänge und andere Fächer mit Staatsprüfungen.
Die Möglichkeiten zum Teilzeitstudium, z.B. für Studierende mit Kindern
oder bei teilweiser Berufstätigkeit, sind immer noch zu dürftig.
Dass Sachsen-Anhalt bei der Exzellenzinitiative, die auf große
Wissenschaftsstandorte ausgerichtet war, wenig erfolgreich war, zeigt,
dass das Land erhöhte Anstrengungen unternehmen muss, um konkurrenzfähige größere Forschungsschwerpunkte aufzubauen. Dabei
darf aber die breite Einzelforschung und effektivere
Kleingruppenforschung nicht vernachlässigt werden. Nicht alle exzellente
ForscherInnen wollen in Großgruppen arbeiten, sind aber häufig politisch
dazu gezwungen, sich solchen Gruppen anzuschließen, um angesichts der
schlechten Grundausstattung von Hochschulen eine annehmbare
Ausstattung mit Forschungsmitteln zu erreichen.

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